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Ausstellungsinformationen

Anja Bohnhof

The Last Drop
14. November 2020 - 30. April 2021
 
Die Galerie m zeigt bis zum 30. April 2021 Fotografien
aus der Serie The Last Drop von Anja Bohnhof. Mit ihren Werken setzt sich die Künstlerin schon seit vielen Jahren mit der Lebensrealität von Teilen der indischen Gesellschaft auseinander. Dabei spannt sie stets einen Bogen zu überregionalen ökonomischen und existentiellen Fragestellungen, was ihr zuletzt auf besondere Weise mit „The Last Drop“ gelungen ist. Die Fotografien dieser Serie thematisieren die tägliche Notwendigkeit der Beschaffung von Wasser in den Dörfern des Bundesstaates West-Bengalen.

Die Bilder der Serie „The Last Drop“ von Anja Bohnhof zeigen pittoresk anmutende Dorfszenen, die das Lebensumfeld der indigenen Bevölkerungsgruppe der Santals im Norden Indiens zeigen. Die dörflichen Szenerien, der Detailreichtum sowie die authentische Farbigkeit, die von den bemalten Lehmhäusern und der Kleidung der Frauen herrührt, machen die Betrachtung der Werke zu einem ästhetischen Erlebnis.
Der Titel der Serie macht jedoch deutlich, dass die Künstlerin ein besonderes Anliegen hat, welches sie durch einen bewusst konzeptionellen Eingriff mit subtiler Deutlichkeit ins Blickfeld rückt: Metallisch glänzende Gallonen verdecken die Gesichter und Köpfe der abgebildeten Frauen. Durch die real vollzogene, surreal anmutende Platzierung werden diese Alltagsobjekte zu einem – wenn auch eigentümlichen – Teil ihres Körpers und, im übertragenen Sinne, ihres Lebens. Die würdevolle Haltung, die eindrucksvolle Präsenz der Protagonistinnen, das Wissen um die notwendige und verantwortungsvolle Handlung machen die Ernsthaftigkeit hinter der Inszenierung deutlich.

Die Werke regen auf pointierte Weise zum Nachdenken an. So können die Frauen durch die Verbindung mit den Gallonen als Personifikationen der Wasserknappheit betrachtet werden, als Symbole für die Wasserversorgung. Sie führen vor Augen und mahnen zugleich, das kostbare Gut wertzuschätzen und zu schützen. Die Bilder verdeutlichen uns, dass die Knappheit nicht abstrakt ist, sondern reale Konsequenzen für die Lebensrealität der Menschen hat. Bohnhof zeigt in ihren Bildern, dass ausschließlich den Frauen die Wasserbeschaffung innerhalb der Dorfgemeinschaften obliegt; eine zeitaufwendige und mühsame Tätigkeit, die ihren Alltag mit jeweils zwei bis vier Stunden erheblich dominiert und durchaus Einfluss auf ihre Lebenssituation hat.
Die besondere Art des Tragens der Gallonen in diesen Bildern ist letztlich ein performativer Akt, der in einem gesellschaftlichen und politischen Kontext gesehen werden kann. Das Verbergen des Gesichts führt zudem zu einer Art Entindividualisierung und lenkt damit die Aufmerksamkeit auf grundsätzliche Aspekte: auf die Wasserknappheit und auf die Folgen für das Leben der Frauen.

Anja Bohnhof reist seit über 10 Jahren regelmäßig nach Indien, um zu fotografieren. Ihre Indien-Serien finden nicht nur Anerkennung im deutschsprachigen Raum, sondern auch in Indien selbst. So wurden ihre Serie „Tracking Gandhi“ u.a. in einer Einzelausstellung im National Gandhi Museum in Neu-Delhi gezeigt. 2020 wurde sie eingeladen, als Honorarprofessorin an der Mahatma Gandhi Mission Universität in Aurangabad zu lehren. 2015 erhielt sie den Gisela Bonn-Preis für ihre besonderen Leistungen auf dem Gebiet der Deutsch-Indischen Beziehungen.
Die Realisierung eines solchen Projekts erfordert viel Sensibilität und basiert auf der vertrauensvollen Zusammenarbeit aller Beteiligten. Zusammen mit ihrem langjährigen Assistenten Sumit Mitra besuchte Anja Bohnhof die zwölf Dörfer, in denen die Bilder zusammen mit den Frauen vor Ort entstanden.
Auch in Europa ist die Verfügbarkeit von sauberem Wasser nicht mehr selbstverständlich, zumindest an den Orten, an denen der Grundwasserspiegel in den letzten Jahren bedrohlich abgesunken ist, und Dürremonate – nicht zuletzt für die Landwirtschaft - ein akutes Problem darstellen.
Was bei uns zunehmend ins Bewusstsein rückt, ist in vielen Teilen der Welt bereits gelebte Realität. So auch in den Dörfern der Volksgruppe der Santals, in denen Anja Bohnhof 2019 für „The Last Drop“ fotografierte und wo sich die Wasserbeschaffung massiv auf den Alltag und die Bildungschancen der Frauen und Mädchen auswirkt. Täglich gehen sie zum Teil weite Wege, um ihre Gallonen mit Wasser aus den Brunnen zu füllen und somit den Bedarf an Frischwasser für ihre Familien und das Nutzvieh zu decken.